Herzlich willkommen
Im Shoppingcenter vor der Stadt
In einem Schreibwarenladen hat
Ein Junge aus der Mittelschicht
Für seinen Matheunterricht
Ein Kurvenlineal entwendet
Und so endet
Sein Besuch in diesem Laden
Ohne was bezahlt zu haben
Vor dem Laden
Stehen Einkaufswagen
Und ein alter Mann
Der dreht sich um
Zu dem Jung´n
Doch dann
Geht er weiter
Zu einer Leiter
Und steigt sie hinauf
Worauf
Eine Sprosse bricht
Unter seinem Gewicht
Also fällt er
Und so prellt er
Sich den Kopf
Und nun tropft
Ganz viel Blut
Aus seinem Hut
Und ihm tut
Der Rücken weh
Und ein Zeh
Ist lädiert
… passiert
Wenn man von Leitern fällt
weil die Sprosse nicht hält
Den Jungen interessiert
Was da passiert
Also geht´r
Die paar Meter
Zu dem Greis
Der Lehmann heißt
Doch das weiß
Der Junge nicht
Und so spricht
Er Herrn Lehmann
Formlos an:
Alter, krass
Bist du blass
Für paar Pigmente
Im Gesicht
Reicht die Rente
Also nicht
Oder was
Ist das
Hier
Mit dir, hm?
Der Alte, der nun Blickkontakt
Mit dem Jugendlichen hat
Schweigt
Er neigt
Den Kopf und zeigt
Zu dem Schreibwarenladen
An dem in Leuchtbuchstaben
Ein Schriftzug hängt
Der die Kundschaft mit einer Begrüßung empfängt
Es mag dir nicht so wichtig sein
Aber willkommen schreibt man klein
Flüstert er
Weil´s Reden schwer
Fällt
Und hält
Sich eine Hand vors Gesicht
Weil er von künstlichem Licht
´ne Bindehautentzündung kriegt
Der Junge überfliegt
Was da in Leuchtbuchstaben
An dem Schreibwarenladen
Hängt
Und denkt:
Herzlich willkommen schreibt man klein
Das soll mir nicht so wichtig sein?
Und prompt artikuliert er sich
Und wieder tut er´s eher schlicht:
Jou, Alter, krass
Ich geb dir Recht
Das ist mal echt
Richtig schlecht
Was sind ´n das
Für große Lettern
Off den Brettern?
Aber nein, junger Mann
Die Schrift, die kann
Doch größer sein
Nur dieses W, das schreibt man klein
Erklärt ihm der
ält´re Herr
Einmal mehr
Und beinah heiter
Meint er weiter:
Mit einer Axt wollt ich probieren
Dieses W zu reparieren
Inzwischen haben
Sich vor dem Laden
Ein paar Kunden
Zusammengefunden
Die unumwunden
Ihren Unmut bekunden
Dass der mit den Wunden
Da so blutverschmiert
Vor dem Laden kampiert
Der Alte fixiert
Die gaffende Meute
Er ist irritiert
Dass da keifende Leute
Vor ihm stehen
Und statt ihm zu helfen oder weiterzugehen
Ihn mit verächtlichen Blicken ansehen
Eine Frau geht zu dem Mann
Und spricht ihn an:
Ich verstehe wahrlich nicht
Warum es Ihnen wichtig ist
Dieses Wörtchen klein zu schreiben
Das ist doch bloß ein Konsonant
Dem die Schenkel bisschen lang
Geraten sind
Also ich find
Das kann so bleiben
Die Stirn des Alten
Liegt in Falten
Er ist traurig, er verzagt
Er ist enttäuscht, er seufzt, er sagt:
Junge Frau, Sie irren sich
Denn dieses W ist eben nicht
Nur ein schnöder Konsonant
Ihre Sicht ist ignorant
Nein, dieses W in diesem Wort
Großgeschrieben ist es dort
Schlicht und einfach Idiotie
Ist es deutscher Agonie
Spiegel, gleichwohl Widerhall
Zeugt´s vom Elend, vom Zerfall
Vom Untergang uns´rer Kultur
Wird´s auf der Schicksalspartitur
Zur Stimme barer Depression
Des Kontrabasses tiefster Ton
Ist´s Sinnbild dieser Leidenszeit
Der Dummheit, der Stumpfsinnigkeit
Ein paar Leute
In der Meute
Lachen
And´re machen
Bloß Gebärden
Doch schon werden
Im Gedränge
Schmähgesänge
Intoniert
Man ist amüsiert
Von dem Greis
Wie er heißt
Nun, das weiß
Man nicht
Also spricht
Man den Mann
Ganz formlos an:
Was du da redest, ist doch Stuss
Das ist dir hoffentlich bewusst
Sagt eine Frau
Deren grau
Meliertes Haar
Unheilbar
Durch Morbus Spliss
Beschädigt ist
Auf dem Kopf dagegen kahl
Ist ihr Gemahl
Was gewiss
Kein Nachteil ist
Wenn man die Frau
Mal genau
Betrachtet
Sprich beachtet
Dass ihr Haar
Offenbar
G´rad verreckt
Ihr Gatte steckt
Ein Geldstück weg
Das er aus ´nem Einkaufswagen
Die direkt am Schreibwarenladen
Ihren Wagenstellplatz haben
Genommen hat
Doch anstatt
Nun behilflich zu sein
Steckt er sein Portemonnaie ein
Und mein(t):
Arme deutsche Hochkultur
Ja, uns´re Sprache muss zur Kur
Den Leuten genügt
So ein Reim
Um vergnügt
Zu sein
Dem Mann mit der Glatze
Wird applaudiert
Der prompt mit ´ner Fratze
Auf mehr Lob spekuliert
Als der mit dem Hut
Auf dem Kopf
Aus dem das Blut
Weiter tropft
Nun Feuer spuckt
Guckt
Man zwar irritiert
Doch ist auch fasziniert
Dass der Mann
So was kann
Aus allgemeiner Heiterkeit
Wird jedoch Betroffenheit
Als das Blut
In der Pfütze
Das der mit der Mütze
Vergossen hat
Zu kochen beginnt
Und der fettige Sud
In dem der Alte verharrt
Zu Klumpen gerinnt
Flammen lodern auf
Steigen hinauf
Zu den Leuchtbuchstaben
Brandrauchschwaden
Wabern umher
Es knallt, es blitzt
Und immer mehr
Wasser spritzt
Aus kleinen Behältern
Die an Feuermeldern
Hängen
Menschen drängen
Zu Notausgängen
Vorbei an denen
Die vor jenem
Spottbeschallten
Gebrechlichen Alten
Im Halbkreis verharren
Und vor Entsetzen erstarren
Als der im nächsten Moment
In den Flammen verbrennt
Und aus dem denkbar schlecht
Durchbluteten Gemächt
Der brennenden Leiche
Eine elbengleiche
Schönheit
Steigt
Die transparent gekleidet
Auf ein Kind zuschreitet
Ihm ein Satzzeichen bringt
Und dann beginnt
Mit ihren Notenschlüsselwimpern
Die Schicksalssinfonie zu klimpern
Oh, ihr Lächeln in Moll
Ist so ausdrucksvoll
Dass ein Thor den Rat
Den einst sein Oheim ihm gab:
Nicht zu Frauen zu gehen
Die im Feuer stehen
Glatt ignoriert
Als er zu ihr stolziert
Bricht sie sein Genick
Mit einem Pay-tv-Blick
Macht ein böses Gesicht
Verneigt sich
Und spricht:
Ich, eure doidsche Muddersprache
Wie ich hier steh in dieser Lahche
Ich will euch jetz ä ma was sachen:
Wie ihr euch heude habd bedrachen
Mid airen bäisen Degadensen
Das verlangd nach Gonsegwänsen
Da zerbersten
Schon die beiden
Ersten
Buntglasspiegelscheiben
In Jaqueline´s Blumeneck
Der Apostroph ist auch mit weg
Fortgerissen durch einen Splitter
Im Buntglasspiegelscheibenscherbengewitter
Frau Muttersprache lacht verhalten
Und lässt weiter Kräfte walten
Konsonanten detonieren
Anglizismen explodieren
Eines Mannes Leib
Wird unter Dabbeljuhs begraben
Und sein holdes Weib
Von einem Aftershave erschlagen
Ein i-Punkt trifft das Shoppingcenter
So verändert
Sich die Form
Doch ganz enorm:
Das Dach stürzt ein
Und bald ist kein
Einziger Stein
Mehr da
Wo er mal war
Alter, krass
Was is´n das?
Ruft der Mittelschicht-Junge
in dessen Lunge
Seit ei-ni-gen
Se-kun-den
Ein Overhead-
projektor steckt
Obwohl er starke Schmerzen hat
Schleppt er sich noch durch die Stadt
Ab und zu macht er kurz Pause
Mit Mühe schafft er es nach Hause
Und fällt sogleich
Und kreidebleich
der Mutter in den warmen Schoß
Als diese nun betroffen fragt:
Mein Junge, sprich, was ist denn los?
Blickt er sie lächelnd an und sagt:
Es mag dir nicht so wichtig sein
Aber willkommen schreibt man klein