Liebessymbolik entbehrt jeder Komik

 

Ich habe mich in ein weißes Baumwollbettlaken gehüllt, habe Flügel aus Gänsefedern auf dem Rücken, einen Flitzebogen in der Hand und eine Perücke mit goldglänzenden Löckchen auf dem Kopf. Flügel und Perücke habe ich im Internet bestellt, den Flitzebogen habe ich aus dem kleinen, süßen Spielzeugladen um die Ecke. Schön, dass es solche Läden noch gibt. Obwohl ich da keine Illusionen habe, bald wird auch dieser kleine, süße Spielzeugladen verschwunden sein, wenn die Leute weiterhin ihre Perücken und Engelsflügel im Internet kaufen.

So stehe ich am Fußende des Bettes und betrachte meine Freundin. Wenn sie schläft, dann sieht sie immer noch gut aus. Sie trägt ein transparentes Negligé. Zum Glück liegt sie auf dem Rücken, so sehe ich ihr Arschgeweih nicht durchschimmern. Dafür sehe ich ihre niedliche Stupsnase.

Ja, Anna hat eine niedliche Stupsnase, denke ich und lege den Pfeil in die Auflage, spanne den Bogen und ziele auf ihren Kopf.

Es fluppt ganz leise, der Pfeil hat sich an ihrer Stirn festgesaugt, und jetzt sieht sie aus wie ein schlafendes Einhorn.

Sie wirkt überrascht, als sie im nächsten Moment den Pfeil von ihrer Stirn zieht und mich mit großen Augen anschaut.

Ich bin Amor, der römische Liebesgott, erkläre ich ihr, und ich habe dich gerade mit meinem Liebespfeil getroffen.

Da trifft mich unvermittelt ihr zorniger Blick. Sie lässt den Pfeil achtlos zu Boden fallen, steht auf und geht wortlos an mir vorüber.

In solchen Momenten finde ich es immer schade, dass sich Anna nichts aus Romantik macht. Zugegeben, ich komme mir gerade selbst ein bisschen blöd vor. Aber wenn die Liebe im Alltag einschläft, muss man sie eben wieder aufwecken. Anna und mich, uns begleiten so viele gemeinsame Erinnerungen, wir haben so viele schöne Stunden miteinander verbracht, da wäre es doch feige, nicht um diese Beziehung zu kämpfen. Und weil Anna in letzter Zeit oft Migräne bekommt und immer Kopfschmerzen hat, wenn ich mal mit ihr … also mit ihr reden möchte, kämpfe ich jetzt eben mit den Symbolen der Liebe um ihre Zunei…

Ein dumpfer Schlag reißt mich aus meinen Gedanken. Ich eile ins Wohnzimmer und sehe Anna auf dem Boden liegen, sie ist wohl auf einer der Lilien ausgerutscht, die ich hier überall verstreut habe. Vorhin war das so ein schönes Bild, dieser Teppich aus 2316 weißen Lilien, eine Lilie für jeden Tag unserer Beziehung. Aber jetzt liegt Anna da auf dem Boden und guckt irgendwie komisch. Und jetzt finde ich das Bild gar nicht mehr so schön.

Weiße Lilien, erkläre ich ihr, sind die Wächter der Liebe und der ehelichen Verbundenheit.

Mit weißen Lilien bepflanzt man Gräber, entgegnet Anna. Sie erhebt sich schwerfällig vom Boden und humpelt weiter Richtung Bad.

Anna braucht sehr lange, bis sie ins Bad gehumpelt ist.

Sie hätte wenigstens kurz lächeln können, finde ich und bestelle telefonisch einen kleinen Container für die Entsorgung der 2316 Lilien; dann fange ich an, die Lilien einzusammeln und schon mal aus dem Fenster zu werfen.

Kannst du mich bitte zum Arzt fahren?, fragt mich Anna, da ich gerade die letzten Lilien aus dem Fenster geworfen habe, mein Zeh, ich glaube, er ist gebrochen.

Und tatsächlich sieht ihr großer rechter Zeh nicht gut aus, er ist geschwollen und blau angelaufen. Reflexartig blicke ich hinunter zu meinem großen rechten Zeh und finde ihn viel hübscher als ihren.

Anna braucht sehr lange, bis sie die Treppe hinuntergehumpelt ist.

Vor dem Haus steht Herr Rosenpfennig, vom Blumenhaus Rosenpfennig, und sammelt die Lilien ein. Und jetzt ärgere ich mich ein bisschen, dass ich den teuren Container bestellt habe.

Eigentlich ist es nicht weit bis zum Krankenhaus, aber ich habe mir überlegt, einen kleinen Umweg zu nehmen und fahre zu dieser alten, romantischen Holzbrücke am Auwald.

Warum halten wir denn hier?, fragt Anna.

Das ist eine Abkürzung, sage ich und eile, um ihr beim Aussteigen zu helfen.

Anna braucht sehr lange, bis sie zur Brücke gehumpelt ist.

Früher bin ich oft hier gewesen, früher, als man die Brücke noch betreten durfte. Doch inzwischen ist sie gesperrt, weil so viele Liebespaare Vorhängeschlösser an das Brückengeländer gehängt haben und die Brücke nun unter der Last der Vorhängeschlösser einzustürzen droht.

Aber ich finde es spannend, etwas Verbotenes zu tun. Und vielleicht ist das ja genau der Kick, den unsere Beziehung jetzt braucht. Und so steigen wir über das Absperrband und gehen auf die Brücke.

Anna braucht sehr lange, bis sie zur Mitte der Brücke gehumpelt ist.

Sie wirkt überrascht, als ich im nächsten Moment ein Vorhängeschloss aus meiner Umhängetasche hole. Ich habe es im Internet gekauft und zwei Herzen und unsere Namen eingravieren lassen.

Mein Schatz, hast du Schmerzen?, frage ich beunruhigt, weil sie mich so merkwürdig anguckt. Da reißen plötzlich die Bohlen unter unseren Füßen, das Gebälk krächzt und schon fallen erste Gesteinsbrocken in den Fluss.

Die Brücke, Anna, wir müssen hier weg, sage ich ganz ruhig, um eine Panik zu vermeiden, dann renne ich los.

Anna braucht sehr lange, bis sie fast von der Brücke gehumpelt ist.

Und als die Brücke nun mit reichlich Lärm einstürzt und Anna zusammen mit all dem Gebälk und Gestein und all den Bohlen und Vorhängeschlössern in die Tiefe gerissen wird, sehe ich einen Eisvogel an mir vorüberfliegen. Gedankenschnell reiße ich mir die Engelsflügel vom Rücken, doch als ich sie meiner kleinen Anna zuwerfen will, hat der Fluss meine kleine Anna schon aufgefressen.

Ich stehe noch sehr lange vor dieser eingestürzten Brücke und starre ungläubig auf den nun wieder so friedlich vor sich hin plätschernden Fluss, dann streiche ich mir die Tränen von der Wange und gehe zurück zum Auto. Ich brauche weiße Lilien, denke ich, bestimmt hat das Blumenhaus Rosenpfennig weiße Lilien im Angebot.